Gustav Gerhardy an seine Mutter


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Metz den 13. Nov. 1888.
Liebe Mutter.
Die Tage nach meiner Rück¬
kehr von dem schönen Karlsruhe,
wohin mich, wie ich dir schrieb,
dienstlich mein Weg führte, waren
so besetzt, daß ich nicht zum Schrei-
ben kam. Selbst der Sonntag
war verlegt dadurch, daß unser
neuer Schwager Lang1 und noch
ein anderer Bräutigam bei und
zu Tisch waren. Aus Berlin war
zu diesem Zweck ein Rehrücken
nebst zwei Vorderblättern einge¬
sprungen. - Doch bevor ich davon
Dir berichte empfange, dem
Hauptzweck dieser Zeilen ent¬
sprechend, nochmals meinen Dank
für die schönen Tage mit inn¬
gem Gedankenaustausch und
opulenter Abgang in Deinem
gemüthlichen und gastlichen Heim
Die Rosenknospen die auf mei
nen Wangen in Folge reichlichen
Genußes fettigen Gevögels er¬
blühten, sind endlich wieder
verwelkt und ein regelmäßi¬
ges Morgengebet fördert wie¬
derum die physische, psychische
und sittliche Beschaffenheit des der
zur Völlerei durch hervorra-
gende Genüsse verführten Lei¬
bes. Hoffentlich hat dich dei
bei unserer Abreise plagender
Schnupfen wieder verlassen und
der gleichmäßige, längere
Zeit durchgeführte Genuß dei¬
nes Weilbacher Brunnens
thut deinem Unterleib und den
Schleimhäuten weiter gut. Mein
Katarrh ist auch bedeutend auf
dem Wege der Besserung. Bei
mir wirkt die Inhalation bei
Luftröhrenkatarrh Wunder.
Schon nach wenigen Abenden
war die Heiserkeit vollständig
beseitigt und nur des Morgens
lösen sich ein Paar Hustenstöße.
Über das neue Brautpaar zu
berichten habe ich Hanny überlas¬
hen, da sie, wie Du in Erfurt
wohl aus ihrem ausgelassenen
Gebahren gemerkt haben wirst,
bis zum Überlaufen von dem
Glück der Schwester1 erfüllt ist
hoffentlich habt Ihr in Erfurt
schon die öffentliche Anzeige; hier
haben dieselben sehr lange auf
sich warten lassen. Ich glaube
ich habe meinen Krimstecher2 in
Erfurt gelassen. Bitte orientiere
mich hierüber sowie über den
Kostenpunkt der Droschke nach
der Bahn. Falls mein Krünstecher
nicht bei dir, so muß ich auf der
Bahn recherchieren, da ich dann
vermuthe denselben im Kouf liegen ge¬
lassen zu haben. Ist heinrich bei
dir rerp. gewesen, oder befin¬
det er sich schon in Hagenau?
Der Abstand zwischen Danzig
und Hagenau ist freilich immens
Kuß und dem Wunsche guten
Befindens sowie der Bitte um
baldige Benachrichtigung bin
ich dein Dir treu ergebener
Sohn Gustav

Grüße alle Lieben!3


  1. Wallmüller, Margarethe Emilie *21.1.1865, gehört der erwähnte neue Schwager Lang dazu? 

  2. veralt. für einen Feldstecher, Fernglas 

  3. quer am linken Rand geschrieben 

Zuletzt geändert: 14.08.2024 07:43:55