Gustav Gerhardy schreibt am 3. Juni 1883 an seine Eltern

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Trier, den 3 June 1885
Herzliebe Eltern
Wie ich versprochen, komme ich heute
zu Euch um näher über verschiedene
Dinge, die ich neulich nur andeutungsweise
berührt, Bericht zu erstatten. Zunächst
ist mein Gesundheitszustand bei dem an¬
haltend warmen Wetter sehr zufrieden-
stellend und mein Hals bessert sich, wenn
auch langsam, von Tag zu Tage; die
natürlichen, dienstlichen Dampfbäder sind
doch durchgreifender wie die künstlichen.
Hoffentlich kann dann das Emser Project
gänzlich fallen, sollte es aber dennoch zur
Befestigung der Gesundheit nothwendig sein,
so werde ich Mitte August - Ende September
ins Auge fassen und mir das Manöver
verkneifen. Doch Alles das mache ich
von meinem derzeitigen Befinden und
dem Ausspruch Edlers abhängig.
Was nun ferner die Schonung im
Dienst anbetrifft, so habe ich in dieser
Hinsicht gar keine Wort zu reden nö-
thig. Ich war am vergangenen Montag
Nachmittag allein in der Buchsenmacherei
und arbeitete daselbst eine Anschuß-In¬
struction für Stoll aus, als derselbe herein
kam. Wie gewöhnlich sah er nach, was ich
schrieb und schaffte und kam dann auf
Metz zu sprechen, sowie darauf, daß er
nun wohl auch das Bataillon verlieren
werde. Es that Ihm dies namentlich des¬
halb sehr leid, weil er in diesem Jahre dem 9ten
in dem er Bataillonskommandeur
zum ersten Mal die Kritik seitens Exellenz
von Thile, in jeder Beziehung sehr gut
bekommen, was natürlicher Weise zum
wenigsten sein, sondern seiner Hauptleute
Verdienst in der Vorbildung der Kom¬
pagnien ist. Ich, der ich mir als sein
Günstling einmal etwas erlauben darf,
erwiederte Ihm, daß es uns sehr schmer¬
zlich wäre, Ihn als Kommandeur schon so
bald zu verlieren, da wir uns Alle in
seiners wohl wollenden Behandlungsweise
so um väterlichen Fürsorge so wohl
gefühlt hätten. Darauf wurde er auch herz¬
lich und sagte: Er habe schon immer die
Absicht gehabt, wenn die jetzigen Adjutanten
Ihre 3 Jahre hinter sich hätten und er noch
das Bataillon führe, mich zu seinem Ad¬
jutanten zu machen, denn er nähme nur
einen Offizier seines Batailons und
er habe mich als brauchbar hierfür erkannt,
Wenn er auch nun zu seinem großen
Bedauern das Bataillon verliere, so
würde er doch seiner Zeit, wenn ich wie
bisher weiter meinen Eifer an den
Tag lege, seinen Einfluß für mich gel
tend machen und ich solle in dieser Bezie¬
hung ganz unbesorgt sein. Auch glaube
er, daß es für meine Gesundheit sehr
gut sei, wenn ich ein Paar Jahre aus
der Front komme und still nach meiner
Bequemlichkeit und Gesundheit leben
könne. Es wäre doch herrlich, so in
Metz die ersten drei Jahre Adjutant.
Abwarten!?
Wie wohl mir Stoll will, zeigt schon,
daß er mir trotzdem ich ja noch nicht
drei Jahre Offizier bin, und viele
Ältere berechtigt sind, wieder ein klei¬-
kleines allerdings nur zwei Tage
dauerndes Kommando nach Saarlonis
zugewendet hat. Am 7. d. M. Damphe
ich dahin um Gewehre für die Re-
servesten abzuholen. Es ist zwar dabei
nicht viel zu verdienen, aber 20 M
werden doch wohl herauskommen und
die kommen mir sehr zu passe damit
kann ich wenigstens wieder einige
Rückstände todt schlagen, resp. brauche
für diesen Monat ausnahmsweise mei¬
nen kleinen, schon sehr zusammenge-
schmotzenen eisernen Bestand nicht an¬
zustechen.
Mit dem Wohnungsansehen in
Metz haben wir unverheiratheten
noch lange Zeit. Im Februar 1884
werde ich mich dort einmal umsehen.
Vorläufig will ich mich aber in
Trier nochmal umsehen. Man weiß jetzt
hier in der ganzen Stadt, daß ich katho-
lisch bin, denn ich war einer von den in
der kölnischen Zeitung erwähnten Offi¬
zieren, der bei der hiesigen Frohn¬
leichnamsprozession, die Deputationen
der 130er geführt. (Schlachtopfer.) So 3 Stun-
den lang, das Ziel vor Augen und Fingern,
als seltenstes Wunderthier in einer Prozession
betrachtet und bekrittelt und beurgrunzt
zu werden, ist keine Kleinigkeit.
Gestern Nachmittag war ich von
v. Putkamer zu einer reizenden Parthie per
Omnibus nach Altenhof1 eingeladen. Erd-
beeren mit Sekt auf Eis, nette kleine
Mädchen, reizendes Waldthal, prachtvolles Wetter

Kalbsbraten2 sehr gut amüsiert Mit Gruß und Kuß Euer Gustav
Grüße an Bruder und Verwandte


  1. Altenhof im Biewertal, seit 1870 Ausflugslokal 

  2. Quer am linken Rand 

Zuletzt geändert: 28.05.2024 13:52:12