Gustav Gerhardy an seine Eltern

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Trier, den 8. Juni 1882

Liebe Eltern1
Seit ich zum letzten Male an euch schrieb, hat sich großes hier zugetragen. Doch bevor ich abovo beginne, zunächst meinen Dank für Pakete mit den verschiedenenartigen werthgeschätzten Beilagen sowie für die Zulage. Mein Befinden ist momentan und schon seit Monaten so, wie man es besser sich nicht wünschen kann. Mit den Aussichten auf Erfolg Rekruten und Manöverschinden ist es allerdings nichts, da schon mein Premier Lieutenant Grimm dieserhalb als Kompagnieführer in Trier zurückbleibt.
Ich habe mich auch schon getröstet, denn da das Regimentsexerzieren hier abgehalten wird, so brauchen wir nur ungefähr 18 Tage unser Haupt in den Schoß der Eifelbauern zu legen. Freilich gibts da keine Sektquartiere, wie einst in Nordhausen bei Herrn Hanewacker überhaupt Goldene Aue ist nichts gegen diese steinreiche Gegend. Dabei fällt mir die Schnapsangelegenheit ein. Soviel ich mich erinnere heißt der jetzige Besitzer der Firma Komma und Wand Rüdiger, ist Reserveoffizier der 36er, und stammt aus der Hopfengasse in Erfurt.
Ich schreibe sofort, nachdem ich diesen Brief beendet habe, und binnen acht Tagen seid ihr im Besitz eines herrlichen Stoffchens, daß ich vermischt und unvermischt bei meinem dortsein auf einmal wieder zu Kosten gedenke. Hier gibts nur Fusel.
Mit den Walnüssen steht es hier sehr gut und ich werde zur Zeit nicht verfehlen dir einige Schock zukommen zu lassen, da du ja außer zum Schnaps auch zum Einmachen welche haben musst! Was dein Katarrh anbetrifft, so kann ich dir nur folgendes Mittel als unter allen Umständen Heiland empfehlen.
Ich selbst habe es bei einer kolossalen Erkältung und Heiserkeit während der Rekrutenperiode angewendet, und ohne Dienstversäumniß konnte ich binnen 14 Tagen wieder beim Liebesmehl singen.
Mein Inhalationsapparat steht im Vorschlag.
Chlornatrium 6,0 Calicloricum 4,0 sol 3,0 aqua destilata 300,0. Diese Mischung täglich dreimal inhalirt, wirkt in kürzester Zeit Wunder.
Über das Geschwulst am Hals von Papa habe ich seit langer Zeit nichts gehört. Ich glaube daraus entnehmen zu dürfen, daß es wenn auch nicht besser, so auch nicht schlimmer geworden ist. Betreffs ... ... darf man sich nie bei dem Ausspruch eines Arztes begnügen.
Seitdem ich im vorigen Jahre meinem Stabsarzt ein kleines Geschenk mitgebracht, ist er von einer wunderbaren Zuvorkommenheit und hat schon zu

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Öfteren mich wieder untersucht, trotzdem habe ich mich aber auch von meinem Oberstabsarzt untersuchen lassen. Ich kann den Onkel Hermann nur beipflichten. In den diesjährigen Pfingsttagen habe ich mich einmal ordentlich ausgeruht und von jeder Tour Abstand genommen.
Von Graevenitz und ich, wir hatten uns zum dritten Pfingsttag in Luxemburg bei Herrn Reutier Wolf angesagt im Falle, daß es den Herrschaften angenehm wäre.
Doch erhielten wir die Nachricht, daß sie selbst verreist wären, aber ihm jeder andere Besuch nach "unserer Rückkehr" angenehm sein würde, käme er im "Militär – oder im Schlafrock".
Jedoch bäte die gnädige Frau um vorherige Quartirung, damit sie für einige dämliche Vorkehrungen sorgen könne. Bis jetzt hat sich noch keine passende Gelegenheit geboten, ich glaube aber, daß da drüben noch etwas Pfennig zu holen ist.
Wenn die verdammten Reisekosten nur nicht immer so hoch wären. Unter 5 Mark kommt man nie weg. Doch nun zur Fahnenweihe, die am 2ten d. M. stattfand. Die Regelung und Weise in Berlin ist euch aus der Zeitung bekannt. Am 31. Mai kam von Goetze aus Berlin zurück und wurde die Parade zur Übergabe für die Garnison für den 2ten festgesetzt.
Losungswort: “weiße Hosen“. Die ganze Garnison / nehmt die Aussichten von Trier zur Hand / standen die Bataillone in Zugkolonne, die Husaren in Eskadronskolonne in einem nach dem Palast zu offenen Karré, das 130te Regiment dem Potal gegenüber. Als die Fahnen-Kompagnie die Fahnen der alten Regimenter brachte, wurden die Honneurs gemacht und die alten Fahnen traten an ihre Plätze.
Nun öffnete sich das Potal und heraustrat der Oberst dahinter die drei jüngsten Offiziere des Regiments Schickart für das erste Bataillon, Einecke für das 2te Bataillon und der LA. Freiherr von Hofmann für das Füsilier Bataillon in einem Gliede, hinter jeden die entsprechende Fahne gg. die Honneurs wurde gemacht und von Goetze ging los in die Mitte des Karrés, und hält eine ergreifende, kerniger Ansprache, die ich Euch demnächst gedruckt schicken werde und welche mit den Worten Schloß "und nun übergebe ich jedem Bataillon seine Fahne".
Darauf nachdem die neuen Fahnen ihre Plätze bei uns eingenommen hatten, übernahm von G. wieder das Regiment, es wurde präsentiert und von Wichmann brachte das Hoch auf den Kaiser aus, worauf die Musikkorps die Nationalhymne intonierten.
Darauf wurde diese abgebrochen und der Infanterie-

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Marsch eingeschlagen.
Exzellenz nahm die Parade ab. Darauf defilierten die ganzen Truppen, wir zum ersten Mal mit Fahnen, vor Exzellenz im Parademarsch. Dann war die Parade beendet. Die FahnenKompagnie des ersten Bataillons 130(zter) hatte die Ehre sämtliche Fahnen und Standarten der Garnison nunmehr 7 Stück nach St. Marien zur Wohnung von Exzellenz2 abzubringen.
Ich und Schickert marschierten auf dem Flügeln der Fahnen als jüngste Offiziere des Bataillons.
Im nächsten Jahr gibt es hoffentlich noch zwei jüngere beim Bataillon.
Nachmittags 3 Uhr war großes Festdiner. Alle Generale, Exzellenz an der Spitze und alle Obersten mit Stäben waren zur Stelle. Das Menü kann ich nicht mehr genau berichten: Suppe á la reine. Salm. Pularden Eis und Kaffee waren dabei. Zu jedem Gang eine bessere Sorte. Zuerst Longuicher dann Tokayer dann Braacher dann Bernkastler der namentlich in der letzten Sorte entwickelten die nirgends fehlenden Repartilionstrinker und Buffetstürmer einen himmelschreienden Durst. Den Schluss bildete eine unerschöpfliche Erdbeerbowle. Von Widemann glänzte wieder durch einen Kaisertoast. Der Oberbürgermeister de Nys3 ließ das Regiment leben, von Goetze der den Regimentern schon in seiner Parade gedankt hatte, schwieg wie gewöhnlich. Inzwischen war 6 Uhr geworden.
Da kam die Kasinoordonnanz zu mir:"Herr Leutnant sollten eins singen. Ich frage, wer sagt? Herr Oberst. Ein verständnisinniger Blick zwischen v. Goetze und mir wird gewechselt. Er nickt. Ich hole mir meinen Märker und sende zum zweiten Mal, beim Liebesmahl schon einmal, mein Wohlauf noch getrunken in die Lüfte (Paradepferd).
Kolossales Händerühren weil in den jüngeren Schargen vom Major abwärts schon einige Blaue, dumme Reden gehört wie z. B. Bunten Rock auziehen, Theater gehen, Konzertsänger g.g. Blech mehr.
Nachdem ich wieder wie gewöhnlich in die Vollen gegangen war, brach das Eis, v. Strohlinsky sang. Justizrat Koecker sang. g.g.
Inzwischen zogen wir, ungefähr 11 Spieler, uns in der Garderobe um, um eine Parodie auf Schillers "Handschuh" vorzutragen. Der Dekamator H.Schäfer sagte gleich in seiner Einleitung, Er, Schiller, sei gar nicht todt, sondern habe sich nur einen ihn unkenntlich machenden Bart der größeren Wärme wegen stehen gelassen p. p.
Wenn die Gemüter erheitert sind, lachen sie über Alles. Die Vorbereitungen dauerten beinahe eine Stunde so daß ich inzwischen aller Bernkasteler wieder verraucht war, zumal ich in meinem Leopardenkostüm ganz in Wasser aufgingn und dampfte.

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Das Gelächter wollte nicht enden. Der die Glieder reckende Löwe steht auf und macht Freiübungen der Leopard kratzt sich mit seinem Hinterbeinen am Kopfe kurz die ganze Komik spottet jeder Beschreibung und das Zwerchfell wurde an dem Tage in gehörige Bewegung gesetzt. Ich habe mir für diesen Tag mit Maerker noch was Besonderes eingeübt, nämlich "sonst nichts" von Suppé ein komisches Lied.
Darstellend die Beichte eines jungen Mädchens, welche den ersten Kuß ihres Jugendgespielen für eine Sünde hält und nun mit ängstlicher Schüchternheit, nachdem sie ihr ganzes Verhältnis zu dem Jüngling nach und nach darlegt, endlich gesteht, daß er sie geküßt habe.
Der Schluss "Ein Himmelreich liegt in dem Kuße drum küsse fort zur Buße" schlug den schließlich durch. Um 9 Uhr empfahl sich Exzellenz gg. und wir haben noch unter Gesang und Couplets den Anschluss an den Tag nach .. erreicht.
Stoll kam ganz herzlich zu mir heran als Kasinodivertor und bedankte sich bei mir, daß ich so hilfreich das Fest verschönt hätte durch meine Mitwirkung, der alte Schwätzer, als wenn sich das nicht ganz von selbst verstände, daß an einem solchen Tage jeder einigermaßen ... Mensch zur Belustigung sein Schäflein dazu beitragen muß.
Ich bin abends alleine nach Hause gegangen, habe meine Uhr aufgezogen und herrlich geschlafen. Beweis, daß Frau Maaße mich nicht verlassen hat.
Bei folgend schicke ich Euch auch meine Photographie mit, die ich bei Gelegenheit der Aufnahme des zweiten Jahrgangs unserer Kompagnie habe mit anfertigen lassen. Wie meine Kameraden sagen soll sie recht gut sein. Und damit für heute genug.
Ich schließe mit herzlichen Gruß an alles Grüßbare und verbleibe in inniger Liebe (als)
Euer euch herzlich liebender Sohn
Gustav
herzliche Grüße an Leopold und Hermann


  1. Transscription durch Sibylle Fährmann 

  2. Das Exzellenzhaus (kurz: ExHaus) ist ein Gebäude in Trier. Es gehörte ursprünglich zum Kloster St. Marien. Nach der Säkularisation diente es zunächst den Truppen Napoléon Bonapartes als Kaserne. Nach dem Wiener Kongress 1815 wurde es von der preußischen Armee genutzt. Aus dieser Zeit stammt der heutige Name. 

  3. 1862 bis 1904 war Karl de Nys Oberbürgermeister der Stadt Trier 

Zuletzt geändert: 28.05.2024 13:51:33