Karl Joseph Heinrich Hoffmann (1757 - 1829)
Versuch einer Biographie von Leo Gerhardy
1) Der Große Brockhaus Ausgabe 1901/04
2) Geschichte des Königsreich Westfalen - Arthur Kleinschmidt -
3) 1000 Jahre Duderstadt von Wüstefeld
4) Wegweiser zu den Sehenswürdigkeiten "Duderstadt" vom Verkehrsverein Duderstadt
5) Eichsfelder Heimatstimmen - Heft 6 / Juni 1974 -
6) Wanderungen im nördlichen Eichsfeld ' vom Landschafts-, Heimat- und Verkehrsverband Duderstadt
7) Verteidigungsrede des Prof, Johf Gg, Aug. Wirth - 1833 - vor dem Geschworenengericht in Landau - Bundesarchiv Koblenz, Außenstelle Rastatt -
8) Napoleonische Herrschafts- und Gesellschaftspolitik von Helmut Berding (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft
7) - Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen - 1973 -
In dem Wohnzimmer meiner früheren Hückelhovener Dienstwohnung hingen über dem offenen Kamin ein etwa 80/60 cm großes Pastellbild, rechts und links davon je ein mit Wasserfarbe gemaltes Porträt; dann unter Glas und Rahmen in Postkartengröße ein handgeschriebenes Gedicht. Bilder und Gedichtblatt stammten von meinem Vater, sie kamen nach dem Tode meiner Mutter 1941 in meinen Besitz, wo sie nicht lange geblieben sind. Kriegsende 1944/45 sind sie mit vielen anderen schönen Dingen gestohlen worden. Die Bilder hatten einen gewissen künstlerischen - für die Familie einen hohen sentimentalen Wert, stellten sie doch die Vorfahren dar. Das Gedichtblatt war eine Original Handschrift des, Dichters Theodor Storm, der es 1864 dem Bruder meines Großvaters gewidmet hatte. Die beiden Wasserfarbenporträts aus den Jahren um 1848, stellten meine Großeltern dar, Leopold und Adele Gerhardy. Das Pastellbild, dessen Karton schon damals einige Risse aufwies, zeigte den Ururgroßvater, den Duderstädter Stadtschultheissen Karl Joseph Heinrich Hoffmann, der Vater der Urgroßmutter, Katharina Leopoldine Wilhelmine, die mit 18 Jahren meinen Urgroßvater Heinrich Gerhardy - damals 29 Jahre alt - heiratete. Das Pastellbild war unter Glas mit einem schlichten, schwarzen Rahmen versehen, wirkte auf seinen Beschauer faszinierend durch - ich möchte sagen - seine Lebhaftigkeit. So um 1800 entstanden, stellte es einen Mann in seinen besten Jahren dar, barhäuptig, die Haare etwas wirr, wie es damals die Mode wohl vor schrieb, das Gesicht freundlich, selbstsicher, bartlos, blaue Augen, schmale Nase. Gekleidet war der porträtierte in einem blauen Rock, einer mächtigen Halsbinde mit einem weißen Spitzenjabot, am Zeigefinger der linken Hand ein Siegelring, Ein schönes Blau war die Farbe, die das Bild beherrschte.
Das Bild, vor mehr als 30 Jahren gestohlen, habe ich noch in guter Erinnerung. Solange ich denken konnte, hatte es in der guten Stube meines Vaters bzw. meiner Mutter gehangen. Was war das für ein Mann, dieser Hoffmann? Ich weiß wenig von ihm, kaum etwas. Und was ich weiß, habe ich mir mühsam zusammenholen müssen. 35 Jahre hat er die Stadt Duderstadt regiert, danach wurde er krank, erhielt noch zwei Jahre eine Pension - praktisch bis zu seinem Tode. In dem Duderstädter Stadtarchiv kann man hunderte Unterschriften von ihm finden, ein Bürgermeister hat jeden Tag was zu unter schreiben. Aber wie er gewesen ist, gut oder schlecht, klug oder dumm, progressiv oder reaktionär, raffiniert oder naiv, beliebt oder verhasst, darüber sagen die Akten nichts. Wenn ein Mann 35 bzw. 37 Jahre an führender Stelle einer kleinen Stadt lebt, die innerhalb dieser Zeit viermal ihren obersten Souverän also Landesherrn - und jedes Mal sehr gegensätzlich - wechselt, und der Stadtschultheiss einen Diensteid oder Huldigungseid mal diesem, mal jenem Fürsten leisten muß, wie muß es dann mit der tatsächlichen Gesinnung des Schwörenden bestellt sein? Ist er ein Opportunist, der mit jedem Herrschaftswechsel eine Verbesserung seiner persönlichen Lage erwartet, hat er eine vertrocknete Beamtenseele, die jeden Wechsel als etwas Natürliches hinnimmt, ist er ein Fuchs, der mit List die Interessen seiner Stadt mit seinen Interessen zu verbinden weiß, oder ist er ein Mann, der sich in erster Linie seinen Duderstädter Mitbürgern und weniger den sich so oft wechselnden Landesherren verpflichtet fühlt? Genaues weiß ich nicht, kann nur manches annehmen, und um meine Annahme zu rechtfertigen, muß man sich mit der damaligen Zeit befassen. 1792 - drei Jahre nach der Erstürmung der Bastille war die Schlacht bei Valmy, die den Sieg der französischen Revolutionsarmee erbrachte. Hoffmann, damals 35 Jahre,
seines Zeichens Advocat und Churfürstlicher Justizamtmann, wird auf Vorschlag seines Amtsvorgängers Heiland Stadtschultheiss der Stadt Duderstadt. Duderstadt, Hauptstadt des Eichsfelds, das eine katholische Enklave ist, unterstand rund 450 Jahre dem Churfürstbischof von Mainz. Enklaven, meist weit von ihren eigentlichen Herren, regiert man milde. Man will sich ja die Untertanen, für deren Seelenheil man außerdem noch verantwortlich ist, erhalten. Leibeigenschaft war längst aufgehoben, dafür brauchte man keine Revolution. Wenn auch der Bischof weit vom Eichsfeld war, behielt er sich vor zu bestimmen, wer die maßgeblichen Verwaltungsstellen im Eichsfeld erhielt. So mußte 1783 ein Adam Gerhardy ein Schemagenealogicum beim Bischof in Mainz einreichen, das ihn als „Erzstl.Mannslehens-Vasallen zu Gieboldehausen" bezeichnet. Der junge Amtmann Hoffmann war ein studierter Mann, hatte in Erfurt, Göttingen und vor allem in Wien studiert, hatte also für die damaligen Zeiten etwas von der Welt gesehen. Die Revolutionsideen "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" waren dem Juristen bestimmt nicht unbekannt. Die Schriften und Dichtungen von Herder, Jean Paul Richter, Schiller oder Goethe hatten sich so oder so mit den französischen Ereignissen befasst, und in der gebildeten Welt wurde das Für und Wider der neuen Zeit lebhaft besprochen. Die Verbreitung des französischen Ideenguts hatte zwei Aspekte. Zunächst den militärischen, politischen Aspekt, der u.U. eine territoriale Auswirkung hatte. Der war für die Menschen greifbar, fassbar. Aber der wichtigere Aspekt war der staatsrechtliche, der praktisch eine Veränderung der Gesellschaft nach sich zog. Nach dem alten europäischen Staatsrecht ist Herrschaft wie Staatsgewalt ein irdisches Gut wie jedes andere, wird erworben, übertragen und vererbt wie Eigentum. Was vom letzteren, dem Eigentum, gilt, das gilt auch von der Staatsgewalt, die in diesem Sinne gleichsam eine unkörperliche Sache wird. Wer sie auf rechtmäßige Weise, d.h, ohne
List oder Gewalt oder Beeinträchtigung eines besser Berechtigten erworben hat und besitzt, ist rechtmäßiger Eigentümer, d.h. rechtmäßiger Souverän. Da Eigentum nach der christlichen Lehre ein von Gott verliehenes Gut ist, spricht das alte europäische Staatsrecht "von Gottes Gnaden". 1762 veröffentlicht Rousseau seinen "contract social", worin die Lehre von der ursprünglichen Gleichheit aller Menschen und der unverlierbaren, immer wieder auszuübenden Souveränität des Volkes verkündet wird. Die Lehre Rousseau’s ist die geistige Basis der französischen Revolution. Dass das alte europäische Staatsrecht, das Gottesgnadentum, mit der Lehre des Rousseau nicht unter einem Dache leben konnte, ergibt sich aus ihrer Gegensätzlichkeit. 1793 wurden Louis XVI und Marie Antoinette, Tochter der Kaiserin Maria Theresia, hingerichtet, ohne dass der österreichische Kaiser dagegen viel unternehmen konnte. Wie hat der junge Stadtschultheiss Hoffmann darüber gedacht? Er kannte ja Wien aus seiner Studentenzeit. Wie schätzte er die militärische Qualität der damaligen Landesherren, der Fürsten, der Bischöfe, der Könige, des Kaisers ein? Der König von Preußen, der alte Fritz, war seit sechs Jahren tot. Der Ruhm seiner Armee war groß, aber in Valmy lädiert worden. Was Valmy bedeutete, war doch nur Wenigen klar. Die meisten schätzten es als eine Niederlage ein, die jeder Armee passieren konnte. Einer der wenigen, der die Bedeutung dieses französischen Sieges bei Valmy erkannte, war Goethe, damals Minister und Theaterdirektor eines sehr kleinen, bescheidenen Herzogtums. Nach dem Frieden von Luneville 1802', der zwischen dem Kaiser bzw. dem Reiche und der Französischen Republik abgeschlossen wurde, trat der Bischof von Mainz das Eichsfeld an den König von Preußen ab. 1799 - also noch unter bischöflicher Herrschaft - wird Hoffmann Regierungsrat; 1805 wird er durch königliches Dekret als Stadtdirektor bezeichnet, erhält ein Gehalt von rund- 1000 Thalern.
Seine Amtswohnung ist der Pöhlder Hof (heute Amtsgericht), sein Hausstand umfaßt 14 Personen beiderlei Geschlechts, 8 Pferde, 2 Stiere, 2 Zugochsen, 12 Kühe und Rinder,36 Schafe und 24 Schweine. Wenn man sich den Pöhlder Hof mit seiner 22-Fensterfront ansieht, ist Hoffmann ein wohl habender Mann. Die preussische Herrschaft dauerte nicht lange, nur etwas mehr als vier Jahre. 1806, nach der Schlacht bei Jena- Auerstädt, kommt das Eichsfeld unter französische.- Herrschaft, Sämtliche Insignien, die auf Preußen hinweisen, müssen beseitigt werden. Dem Eichsfeld, diesem kleinen Ländchen, wird eine Kriegssteuer von 675 000 Franken auferlegt. Das Eichsfeld hatte damals 80/85 000 Einwohner, rechnet man Frau und Kinder ab, kommt man auf 32 000 in unserem Sinne Erwerbstätige. So hatte jeder dieser Erwerbstätigen 21 Franken aufzubringen, eine Summe, die oft ein Mehrfaches des Monatslohnes war. Eine Deputation der Duderstädter Bürger mußte eine beschwerliche Reise nach Warschau, wo Napoleon sich zur Zeit aufhielt, unternehmen mit dem Zweck, eine Ermäßigung oder Erlass? der Kriegssteuer zu erwirken. Als Bürgermeister wird Hoffmann vermutlich an der Reise teilgenommen haben, die im übrigen völlig ergebnislos verlief, Napoleon bestand auf der Eintreibung der Steuer. Nach dem Frieden von Tilsit 1807 wurden die von Preußen westlich der Elbe verloren-gegangenen Besitzungen zu einem neuen Reich zusammengeschlossen, dem Königreich Westfalen. Der jüngste Bruder Napoleons bestieg am 1.10.1807 als König Jerome den Thron, im Volksmund mehr als König Lustik bekannt. Er könnte nur drei deutsche Worte "morgen wieder lustik". Mit der französischen Fremdherrschaft ändern sich alle Dienstbezeichnungen. Aus dem Stadtschultheissen, Bürgermeister und Stadtdirektor, wird, ein Maire. Hoffmann wird Maire et Canton-Maire.
Seine Amtskleidung ist genau vorgeschrieben: Königsblauer Rock mit silbernen Knöpfen und zwei einfach in Silber gestickten Streifen auf Kragen, Laschen und Aufschlägen, weiße Weste und Beinkleider, himmelblauer Infanteriegürtel mit weißen Fransen, französischer Hut, Degen. An Stelle des alten Stadtgerichts gibt es nun ein Friedensgericht unter dem Friedensrichter Kaisenberg. (Vermutlich Schwiegervater oder Schwager des Hoffmann, dessen Frau eine geborene Kaisenberg war). Seit 1.1.1808 galt als Bürgerliches Gesetzbuch der Code Napoleon. "Dadurch wurde die Gleichstellung aller Untertanen vor dem Gesetz, größere politische Selbständigkeit, Aufhebung der Leibeigenschaft, die allerdings unter der mainzischen Herrschaft fast völlig beseitigt war, allmähliche Auflösung der Lehen- und Patrimonialgerichtsbarkeit und dergleichen herbeigeführt, und als im Mai desselben Jahres 200 Wahlmänner des Departements sich in Heiligenstadt versammelten, um für jeden Canton Friedensrichter, Distrikts-, Departements- und Reichsräte zu wählen, da war man des Lobes voll über die wohltätigen Einrichtungen des neuen Regiments". Fünf Tage nach seinem Einzug in Kassel, der Hauptstadt des neuen Königreiches, erließ der König seine erste Proklamation, die von der Bevölkerung nicht schlecht aufgenommen wurde, sie war geschickt abgefaßt und zum Schluß hieß es: "Das Gesetz ist euer Herr, der Monarch euer Beschützer, ist verpflichtet, es in Ansehen zu erhalten. Andere Obere werdet ihr in Zukunft nicht kennen. Indem ich den Thron besteige, verpflichte ich mich, euch glücklich zu machen, und ich werde diesem Gelübde treu sein". Das klang alles sehr schön und war Musik in den Ohren der Zuhörer. Nur Napoleon kritisierte scharf, sie sei viel zu lang, so rede ein Deputierter aber keine königliche Majestät.
Am Neujahrstage 1808 findet die Huldigungsfeier für den neuen König statt. 275 Abgeordnete nehmen daran teil, u.a. der Maire Hoffmann, der von seiner Stadt ein Reisegeld von 20 Louis d’or# erhält. 21 Kanonenschüsse verkünden die Auffahrt der Majestäten. In seiner Rede erklärt der junge König: "Privilegien, Exekutionen, persönliche Dienstbarkeiten passen nicht in den Geist des Jahrhunderts.
Westfalen soll endlich Bürger erhalten, und hier wie in jedem anderen Lande soll der Mensch sich achten und ehren in seinesgleichen..... Obwohl noch jung, habe ich doch einsehen lernen, dass die wahre Macht eines Volkes in der Gleichheit vor dem Gesetz, der Tapferkeit und Treue besteht. Letztere Tugenden sind Ihnen vor allem eigen,.und ich setze darauf meine vornehmste Hoffnung."
Schöne Worte, die den Menschen wie Honig eingelen. Napoleon findet die Rede lächerlich. Er hat das Sagen - nicht Jerome.
Am 25. Mai besucht Jerome Duderstadt. Es gibt einen großen Empfang mit Glockengeläut, großem- Diner. Die Stadtschlüssel werden auf einem Atlaskissen dem König überreicht.
Fünf Jahre vorher trugen die Schlüssel den Namenszug des Mainzer Bischofs, später die des Königs von Preußen, jetzt die des Jeromes. Der Schlosser muß jedes Mal neu feilen und neu gravieren.
Hatte man zunächst die neue Herrschaft begrüßt, es gab eine vernünftige Verwaltungsreform, mancher Zopf der Bürokratie wurde abgeschnitten. Der König verfügte, Duderstadt hatte zwei Kirchen - beide katholisch - die St. Cyriakus - und St.-Kirche, eine davon solle evangelisch werden - die Servatiuskirche. Dabei blieb es bis heute. Das kostete im Grunde nicht viel, war aber letzten Endes nur eine Popularitätshascherei, um das evangelische Element für sich einzunehmen. Der König mit seiner Verschwendungssucht kostete den jungen Staat viel. Aber das wäre noch zu ertragen gewesen, wenn nicht die anderen neu aufkommenden Steuern gewesen wären.
Galt zwar der Code Napoleon als offizielles Recht, er hatte manches Gute gebracht, die Gewerbefreiheit, die Emanzipation der Juden, so waren diesem Recht zwei andere Rechtsnormen übergeordnet. Das Kontributionsrecht und das Dotationsrecht. Das Königreich Westfalen hatte als Mitglied des Rheinbundes dem französischen Kaiser eine Armee von 25.000 Mann zu stellen. Solange diese Armee nicht vorhanden war, hatte der französische Kaiser das Recht, 12.500 Franzosen nach Westfalen zu entsenden, deren Unterhalt, Besoldung, Bekleidung, Ernährung das Königreich Westfalen zu zahlen hatte. Dazu kamen Belastungen aller Art wie Einquartierungen u.a. mehr. Die militärische Belastung nahm katastrophale Ausmaße an, westfälische Kontingente wurden zunächst nach Spanien, später nach Russland entsandt, v/o sie völlig aufgerieben wurden. Das Eichsfeld allein mußte für den russischen Feldzug 2.Ö00 Mann stellen. Die Grundsteuer, es war ja fast alles Landwirtschaft, betrug 20 % des Ertrages, davon unabhängig Beschlagnahme von Pferden, Vieh, Lebensmitteln u.a. Man konnte sich vom Militärdienst freikaufen, wenn der Gezogene einen Stellvertreter stellen konnte. Das kostete so im Schnitt zwischen 200 bis 800 Thaler. Wenn also ein Bauer seinen Sohn freikaufen wollte, mußte er schon viel Geld haben. Doch welcher Bauer besaß im Eichsfeld solche Summen? Der Maire, der Bürgermeister, war ein reicher Mann für dortige Verhältnisse und bekam 1000 Thaler im Jahr, und da sollte ein kleiner Bauer oder Handwerker eine Summe für seinen Sohn aufbringen, die bald dem HalbJahreseinkommen des Bürgermeisters oder mehr entsprach. Praktisch 10 % der jungen Leute mußte unter die französischen Fahnen, ob sie wollten oder nicht. Dazu kam das Kriegsglück oder Unglück. Kam der Junge heil nach Hause oder gar nicht? Das war die andere Seite des Code Napoleon, wo man bei Heine nichts drüber liest. Konnte man für das Kontributionsrecht noch ein gewisses Verständnis aufbringen, der Krieg setzt vieles außer Kurs, war man über das Dotationsrecht, das höher galt, noch erboster.
Der Domainen-Besitz der früheren Fürsten und der Kirchen, galt als enteignet und war durch Dekret persönlicher Besitz des französischen Kaisers geworden. Dieser Besitz mußte eine hohe Rendite bringen. Um das zu erzwingen, wurde die Rendite- Fähigkeit von französischen Beamten möglichst hoch taxiert, die Rendite nach dieser Taxe bestimmt und mit der größten Rücksichtslosigkeit eingetrieben. Nutznießer dieser Renditen waren die sogenannten Donatare, in erster Linie der napoleonische Familien-Clan, die Marschälle, der neue kaiser liche Adel, verdiente Offiziere der Ehrenlegion. Um nur ein Beispiel zu nennen, die Schwester Napoleons, die schöne Fürstin Borghese, bekannt durch ihren freien Lebenswandel, erhielt jährlich 1.415.000 Franken, wovon das Königreich Westfalen 150.000 Franken zu zahlen hatte. So mußte das Königreich jedes Jahr 7 Millionen Franken an die Donatare auszahlen. Gerade das Dotationsrecht war mit das Haupthindernis zu der im Code Napoleon gesetzlich bestimmten Agrar-Reform. Die kaiserlichen Donatare - bedacht auf eine möglichst hohe Rente - wollten eine Nutznießung ihres schnell erworbenen Besitzes und verbanden sich damit zwangsläufig mit dem eingesessenen westfälischen Adel, der ja auch auf gewisse Dienstbarkeiten, die mit seinem Grundbesitz verbunden war, nicht verzichten wollte. Die Domainen waren mit Dienstbarkeiten aller Art reich gesegnet - Mühlenrechte, Braurechte, Fischerei- und Jagdrechte u.a. mehr. Jetzt im Besitz der Donatare, des neuen kaiserlichen Adels, galten die demokratischen Prinzipien des Code Napoleon nicht, und man hielt sich an.das alte Feudalrecht, das eine höhere Einnahme garantierte. Damit schuf man bewußt einen Widerspruch, eine Rechtsunsicherheit. Auseinandersetzungen der westfälischen Justiz mit dem Grafen Defermon, der die kaiserlichen Interessen und damit die Donatare zu vertreten hatte, erzählen davon.
Er erklärte: "Es sei zwar richtig, dass der Gode Napoleon das Königreich Westfalen regiere; wenn es zu einem Konflikt zwischen dem von Napoleon oktroyierten Zivilrecht im König reich und von Napoleon dotierten Donataren kommt, gebühre den Interessen der Donatare der Vorrang vor den Bestimmungen des Gesetzbuches". - Also zweierlei Recht. Unabhängig davon hatten die Donatare nicht die geringste Absicht, ihre stattlichen Einkünfte etwa in Westfalen zu verzehren, so.wäre das Geld wenigstens im Lande geblieben, sondern, da es fast durchweg Franzosen waren, in ihrer Heimat, in Paris. Das bedeutete für das ausgeblutete König reich einen hohen Kapitalexport. Die gewaltigen steuerlichen Belastungen, der Blutzoll, den die Bevölkerung für die napoleonischen Kriege leisten mußte, ließ die Menschen die vielgepriesene französische Freiheit mit der Zeit doch anders ansehen. Dazu kam der Rückgang im Handel und Gewerbe, die Kontinentalsperre wirkte sich aus, Polizeispitzel, Denunzianten meldeten jede kritische Äußerung, und solche Meldung konnte für den Betroffenen eine Gefahr werden. Der Maire von Duderstadt kann es nicht leicht gehabt haben. Genau genommen, war er ja nicht von seinen Bürgern gewählt worden, sondern durch das Vertrauen des Mainzer Bischofs zum Stadtschultheissen bestimmt worden. Gut, er hatte mit dem Wechsel der Herrschaften seine Titel gewechselt, das war auch alles. Es wäre doch sicher ein Leichtes gewesen, ihn von seinem Posten zu verjagen, wenn jemand daran interessiert gewesen wäre. Denn außer ihm gab es ja noch andere einflußreiche Personen, die auch tüchtige Leute waren. Er muß einen starken Rückhalt in den Bürgern seiner Stadt gehabt haben, und mußte taktieren. Bei der französischen Behörde durfte er nicht auffallen. An den französischen Feiertagen, wie Königs Geburtstag, mußte er sorgen, dass geflaggt, geläutet, Böllerschüsse abgefeuert wurden. Auf der anderen Seite mußte er dafür sorgen, dass seine Bürger möglichst geschont wurden.
Keine Einquartierung, keine Beschlagnahmen, keine Aushebung von jungen Männern zum Militär. Ein schwieriges Beginnen für einen Bürgermeister. Er konnte jedem nicht alles sagen und alles nicht jedem. Der Geburtstag des Königs war der 15. November. Über, die feierliche Begehung dieses Tages hatte der Maire den franz.-westfälischen Behörden Bericht zu erstatten. 1812, es sollte der letzte Geburtstag dieser Art werden, mußte der Maire Hoffmann auch seinen Bericht abschicken. Es wird vom "allergnädigsten und vielgeliebten Landesherrn gesprochen, Kanonenschüsse, Glockengeläut geben den Festtagsbeginn an, Schützenparade, der evangelische Pfarrer hält den Festgottesdienst, 70 Personen, die Würdenträger der Stadt dinieren zusammen, 100 Arme werden gespeist, abends großer Ball. Einigkeit, Ordnung und gute Sitten beherrschen das Fest." So schreibt der Maire. Dabei wußte er sicher, dass Napoleon auf dem Rückzuge von Moskau war. Am 19.10.1812 war der Übergang über die Beresina. Anderthalb Monate nach des Königs Geburtstag wurde die Tauroggener Convention abgeschlossen, die Preußen mit Russlanä verband. Der Krieg geht hin und her» Noch ist die Macht Napoleons nicht gebrochen. Am 19.4.1813 - also vier Monate später - erscheinen 10 Kosaken in Duderstadt und verlangen den Bürgermeister zu sprechen. Sie avisieren 40.000 Russen, eine Zahl, die nachher auf 4.000 geändert wird. Hoffte man, durch die Russen von den Franzosen befreit zu werden, war man doch zuerst enttäuscht. Im Gegenteil, Napoleon kam wieder zum Zuge, seine Siege bei Gross-Görschen-Lützen und Dresden mußten in vorgeschriebener Weise gefeiert werden. Der Maire berichtet ordnungsgemäß von der Feier, einem festlichen Tedeum, einer Waldpartie mit Illumination und Tanz. Konnte er damals wissen voraussehen, wer der endgültige Sieger war? Wer war nicht der Faszination Napoleons erlegen? Wir wissen, wie die Geschichte ausläuft. Es waren im Sommer 1813 nicht allzuviele, die an einen Sturz des Korsen glaubten. Deswegen ist niemand zu kritisieren oder gar zu verurteilen.
Am 18.10.1813 kommt es zu der entscheidenden Schlacht. Bei Leipzig wird Napoleon durch die verbündeten Preußen, Österreicher und Russen geschlagen. 1814 wird der Wiener Kongress einberufen, der bis 1815 tagt. Bei der .Landverteilung in Wien ist das Eichsfeld wieder da bei und erhält einen neuen Herrn - den englischen König. Das Eichsfeld kommt zu Hannover, das in Personal-Union zu Gross-Britannien gehört. Bis zum Frühjahr 1827 ist Hoffmann noch im Dienst, er kränkelt, nimmt wenig teil an den Geschäften der Stadt und beantragt seine Pensionierung, und die Königlich-Grossbritannisch-Hannoverische Landrostei benachrichtigt "den löblichen Magistrat, dass dem Bürgermeister und Regierungsrat Hoffmann die von ihm nachgesuchte Dienstentlassung mit einer Pension von 1.400 Thalern auf die Generalkasse allergnädigst zu übernehmen". Dann kommt noch eine Zahlung von vierteljährlich 200 Thalern, die mit seinem Amt verbundenen Sporteln werden gestrichen. In Summa eine gute Pension. Hoffmann war siebzig als er pensioniert wurde, zweiundsiebzig als er verstarb. Dass er nach der napoleonischen Zeit mehr als ein Jahrzehnt als Bürgermeister tätig sein konnte, zeigt, dass er in der schwierigen Zeit der französischen Besatzung ein kluges Verhalten an den Tag gelegt hat. Ich glaube, Hoffmann war in erster Linie Duderstädter, Eichsfelder. Die wechselnden Landesherren betrachtete er wie das Wetter. - Schlechtes Wetter, gutes Wetter, kein Wetter dauert ewig - . Sicher hat er Ärger, Anfeindungen und Verleumdungen erfahren, und sicher hat er während seiner Amtszeit diesem oder jenem Unrecht getan. Eine Position ohne diese üble Erfahrung gibt es nicht.
Sein Porträt - mir in ziemlich genauer Erinnerung - bestätigt meine Annahme. Der Vorfahre Hoffmann war ein kluger, listenreicher Schultheiss, der es mit dem Wohl seiner Stadt ernst nahm. Er konnte gar nicht anders gewesen sein, sonst hätte er den Schultheiss-Posten nicht ein Menschenalter halten können. / Hückelhoven, im Januar 1976 Leopold Gerhardy Ururenkel des Stadtschultheissen Hoffmann Diese Schrift ist nur für meine Kinder und meine Geschwister bestimmt. Alle Rechte einer eventuellen Vervielfältigung oder Veröffentlichung behalte ich mir vor. Leopold Gerhardy /
Zuletzt geändert: 03.02.2024 18:00:11