Leo Gerhardy an Thessy Becker geb. Gehardy

5142 Hückelhoven Krs. Heinsberg, den 18.11.1973
Am Steinacker 19
Telefon 0 24 33-2938
Liebe Thessy, Deinen Brief vom 15.ds.Mts. habe ich dankend erhalten und mit Interesse gelesen. Zunächst freut es meine Frau und mich, dass es Dir gut geht, und es erfüllte uns mit besonderem Respekt von Deiner Griechenlandreise - in Sonderheit von Kreta - zu hören. Ich glaube, dass Du diese Reise so richtig genossen hast - mit seiner landschaftlichen Schönheit und seiner so bewegenden und grossartigen Vergangenheit.Es ist immer unser Plan, eine ähnliche Reise zu unternehmen, zumal in Heraclion die Eltern meines Schwiegersohnen wohnen, die uns wiederholt zu einem Besuch aufgefordert haben. Aber ob es dazu kommt, ist sehr fragwürdig.
Ganz abgesehen von den augenblicklichen Verhältnissen dort, die für eine Reise nicht empfehlenswert sind. Politisch sieht es sowieso mies aus. Uns schützt in Europa zur Zeit noch die Erinnerung an die beiden vergangenen Weltkriege mit ihrem Elend so wie eine damit verbundene Trägheit. Aber manchmal fürchte ich, dass die Dummheit der Menschen noch grösser als ihre Trägheit ist, und dann haben wir den Salat.
Meine Frau und ich, wir beide waren in Bad Orb, meine Frau zum 3. und ich zum 2.Mal. Der Spessart ist einmalig schön, wir lieben ihn beide sehr, und der Aufenthalt hat uns beiden gutgetan. Meine Frau hat Fangopackungen bekommen, und beide haben wir regelmässig in der warmen Sole geschwommen. Abends habon wir Äppelwein getrunken - je nach Lust und Laune heiss oder kalt. Wir waren gut drei Wochen dort - über Monatswechsel September/Oktober. Herrliches Wetter, sodass wir viel laufen konnten. Das Bad ist um diese Zeit am be­suchtesten, Hotels schiessen wie die Pilze aus der Erde. Wir hatten Mühe, um einigermassen unterzukommen. Im übrigen gilt noch das, was ich vor 6o Jahren in der Schule gelernt habe. "Der Spessart ist ein grosses,zu­sammenhängend es Waldgebiet, in dem viele Räuber leben". Das hat sich bis heute nicht geändert. Die Räuber sind meist verkleidet, man erkennt sie oft daran, dass sie einen weissen Kittel tragen und ihre Augen unter grossen Brillen verstecken. Als Waffe haben sie in der Hand meist ein Rohr, mit dem betasten sie die Reisenden und stellen fest, was die zahlen können. Im Schnitt halten sie den Reisenden zwei bis drei Wochen fest. Hat er dann alles gezahlt, lassen sie ihn laufen, wenn man erklärt hat, dass die Behandlung vorzüglich gewesen sei usw. mehr. Wir sind noch einigermassen glimpflich abgekommen, dafür haben wir in einem Antiquitäten paar Meisener Teiler gekauft. Meine Frau war darüber ganz glück­lich, für solche Dinge hat sie eine grosse Schwäche.
Meine Schwieger­mutter, bald 94, hatten wir während dieser Zeit im evg.Altenheim für vier Wochen einlogiert. Das hat an und für sich ganz gut geklappt. Sie macht keine Autoreisen mehr, das verträgt sie nicht mehr, sonst wäre sie zu einem der Brüder meiner Frau gegangen. in dem Altenheim, das musste natürlich vorher abgestimmt werden, war sie ganz gut untergehracht, nettes Zimmer zusammen mit einer freundlichen alten Dame von etwa 85 Jahren, Die Schwestern sehr herzlich und ordentlich. Aber einen grossen Teil der Herzlichkeit und der guten Fürsorge wird durch Personalmangel und damit verbunden Zeitmangel absorbiert. Die Station hatte 28 alte Leute, davon mussten 15 gefüttert werden - einschliesslich meiner Schwiegermutter. Du weisst, wie lang es dauert, ein Kind zufüttern. Die Frau unseres Hausbesitizers, eine junge Frau von Mitte zwanzig, ging jeden Tag mit ihrem kleien Kind zu unserer Schwiegermutter, und hat sie dann mittags versorgt. Das war eine sehr liebenswürdige Tat. Für meine Frau war aber die Ausspannung dringend notwendig. Nicht dass die Pflege ihrer Mutter im einzelnen be­sonders schwierig ist, meine Schwiegermutter ist sehr geduldig, geistig ganz dabei, erfordert die Pflege einen grossen Zeitaufwand, und meine Frau kann nicht für längere Zeit wegbleiben. Ich kann natürlich etwas unternehmen, tue es auch gelegentlich, aber es widerstrebt mir, allein auf eine schöne Reise zu gehen und meine Frau in ihren Pflichten immer allein zu lassen. Das macht auch keinen Spass.
Dafür war unsere Christa mit ihren beiden Kindern für 14 Tage hier. Das war eine grosse Belastung für meine Frau, aber das hat sie gern getan. Unser Enkel Andreas Georgos - Gorgos genannt - ist eine heiters, fröhliches Bürschchen, liebt be­sonders meine Frau. Mein Schwiegersohn und meine Tochter machen immer Tamtam, wir verwöhnten die Kinder zusehr. Dafür sind wir Grosseltern da, das Erziehen überlassen wir unseren Kindern. Amüsant sind die Diskussionen über autoritäre und antiautoritäre Erziehung. Unsere jungen Leute sind antiautoritär und meist intolerant. Man will Gerechtigkeit - und keine Gnade. Als ob Gerechtigkeit möglich wär. Sie kommt vor - aber nur gelegentlich. Die Enkelin - Sophia - ist jetzt 9 Monate, ganz stabiles Mädchen, sieht meiner Frau sehr ähnlich. Die Enkelkinder sind gerne hier, bei Oma schmeckt es besser, sie hat immer so Leckereien, von denen niemand vorher weiss. Christa hat die Tage hier sehr genossen, sie konnte länger schlafen, mein Schwiegersohn kam während der Wochenende nach hier. Jetzt ist es wieder still im Haus, und wir freuen uns auf Weihnachten. Unserer Tochter Johanna geht es gut, wir erwarten sie für die Feiertage. Unser Junge scheint sich in Tönning gut einzugewöhnen. Seine junge Frau Doris ist z.Zt. noch ohne Stellung, was aber nicht schlimm ist. Sie haben ein kleines Häuschen gemietet, und ich habe den Eindruck, dass sie glücklich sind. Für uns Alten ist es doch wichtig zu wissen, dass es den Kindern einigermassen gut geht, ihre Freuden sind unsere Freuden, ihre Leiden sind unsere Leiden. Man hört doch dies und jenes, und man kann seinem Herrgott danken, wenn die Kinder honorig sind. Heute keine Selbstverständlichkeit mehr. Ich weiss nicht, ob ich Dir das im letzten Brief erzählt habe. Ich hatte mir in dem Ostseebad Grömitz, wo ich Christa, Costas mit ihren Kindern besuchte, es waren gerade die ganz heissen Tage, einen kleinen Sonnenstich geholt Der hat mir verdammt zu schaffen gemacht. Ich bin nach zwei Tagen wieder abgereist, wollte den Kindern nicht ihre Ferien verderben. Jedenfalls musste ich zum Doktor. Unberufen es hat sich wieder eingerenkt. Schuld war ich es selbst. Ich hatte mich den Gewohnheiten meiner Kinder am Strand an­ gepasst, der Strandkorb gab doch zu wenig Schatten, und da war es passiert. Das hätte ich auch vorher wissen können. Nach ärztlicher Rücksprache soll ich aber meine Gewohnheiten aber beibehalten, fahre noch immer viel Rad, bin im Rauchen und im Trinken etwas bescheidener geworden. Meinen Volks­hochschulkursus - jede Woche anderthalbe Stunden Englisch behalte ich bei, lese nur englische schöngeistige Literatur, was mir viel Freude macht, zu­mal ich immer weniger ein Wörterbuch brauche. Manchmal lese ich bis tief in die Nacht.Nur das englisch hören und damit das Sprechen fällt mir schwer. Kommt hinzu, dass ich sowieso schlecht höre. Meine Frau klagt sehr darüber und will, dass ich mir ein Hörgerät anschaffe. Ich kann mich nicht dazu entschliessen - weniger aus Eitelkeit, als dass so ein Gerät sehr lästig ist.
Zwischenzeitlich habe ich ein Familien-Album zusammengestellt mit viel Bildern von unseren Vorfahren uswm. Ich hatte ja zwei sehr schöne Porträtbilder von unseren Grosseltern, einem sehr schönen Pastellbild des Urgrosvaters Brüggemann, einer Daguerreotypie des gleichen Urgrossvaters im Pelzmantel und einem riesigen Zylinder, eine entzückende silberne Kaffeekanne im Empirestil, das alles ist 1944/45 den Weg alles Irdischen gegan­gen. Von Tante Mia Weiss erbte ich 4 Oelporträts - alle sehr schön - Hofrat Gerhardy und Frau, Dr.Heinrich G. und Frau. Mein Schwager Hans Räck hat davon Buntphotos gemacht. Garnicht so einfach, ein Bild zu photographieren. An und für sich muss ich die Oelbilder einem Restaurateur geben, denn der Zahn der Zeit hat sie sehr lädiert. Erst muss ich einen vertrauenswerten Restaurateur finden, bis jetzt weiss ich keinen. Und dann kostet das vier­stellige Zahlen, wenn man es ordentlich und zuverlässig haben will. Ich weiss das von meinem Freund, dem verstorbenen Maler Haas, der ein tüchtiger Maler und bekannter Restaurateur war und gelegentlich für die Münchener Museen arbeitete. Was ich von Deinen Bildern haben möchte, wäre folgendes: 1) Bild Deiner Eltern - Ich habe 2 Bilder Deines Vaters - eins als junger- Leutnant, eins als 62 - oder 65er in zivil - Profilaufnahme; davon brauchte ich keine weiteren. 2) Bild der Grosseltern Gerhardy - Davon habe ich zwei Schwarz-Weiss-Zeichnungen aus dem Jahre 1847, dann ein Photo aus dem Jahre 1876 - Grosseltern Gy mit ihren vier Söhnen. 3) Bild Grosseltern Brüggemann - davon habe ich nichts. Das Bild von den 4 Gerhardyjungens habe ich. Wenn Du also was machen willst, würde mich das: freuen. Ich will nur Doppeln vermeiden. Denn ich habe ein kleines Vermögen für all das schon ausgegeben. Sag mir bitte vorher, was das in etwa kostet.
Von meinen Schwestern kann ich Dir folgendes berichten: Mary geht es soweit gut. Sie war jetzt paar Wochen in Wien bei ihrem Schwager Mosettig. Sie hat eine Sorge - das ist ihr Enkel Peter, der von seinem inzwischen verstorbenen.Vater Wippermann völlig verkehrt erzogen worden ist. Wir hoffen, dass er mit der Zeit doch richtig in die Reihe kommt, aber er spurt schwer. Auf der einen Seite von grosser Intelligenz ist er auf anderen Seite von grosser Unreife. Es besteht aber Hoffnung, dass er sich allmählich macht. Grete geht es gut, ihre Tochter Gaby ist gut verheiratet, ihr Ältester, Niki, ist im Baugewerbe, verdient gut, ihr jüngster ist z.Zt. im Assessor - vielleicht hat er ihn auch schon. Mättis hat viel Sorgen um ihren Mann, der seit Januar einen Herzschritt­macher hat. Der Gesundheitszustand Rudolfs ist sehr labil, und ist ständig in ärztlicher Betreuung. Sie kann ihren Mann kaum einen Augenblick allein lassen. Er trägt seinen Zustand mit viel Anstand, aber das ändert nichts an seiner Hilflosigkeit. Schnelle unglückliche körper­liche Bewegungen, ungewöhnliche Wetterfühligkeit können ihn schnell umkippen lassen. Ihre Tochter Sybille - noch beim 2.Fernsehen - ist verheiratet. Am 3o.11. heiratet ihr Sohn Andreas ein reizendes Mädchen - Bärbel Schulte oder Schultze - Tochter eines Ingenieurs. Rahns sind darob sehr froh, als ihnen die Schwiegertochter sehr zusagt.
So, jetzt habe ich genug geschrieben. Deinen Kindern alles Gute, Dir die schönsten Grüsse, den sich meine Frau anschliesst.
Leo


Seite 1

Seite 2

Seite 3

Seite 4

Zuletzt geändert: 11.02.2024 15:54:26