Wolfgang Muthspiel im Leonium
Üben, üben, üben. Wer wie der Österreicher Wolfgang Muthspiel in der Champions League der Gitarristen mitspielen will – als Nachfolger von Pat Metheny in der Band von Gary Burton, als Partner von Größen wie Rebekka Bakken, Gary Peacock oder Brad Mehldau, um nur einige zu nennen –, der muss geübt haben. Und muss es immer noch tun.
Muthspiel hat diese Binsenweisheit nicht nur zum Ausgangspunkt seines exzellenten Albums „Etudes/Quietudes“ gemacht, sondern auch seinen Auftritt am Samstag beim Jazzfest in der stimmungsvollen Kapelle des Leoninums damit eröffnet. 35 Minuten lang lauschte das Publikum gebannt dem stetigen Fluss der Etüden.
Längst hat sich das ursprünglich didaktisch konzipierte Etüdenwerk zu einem Steinbruch für ausgedehnte Improvisationen entwickelt – wie im Leoninum auf faszinierende Weise zu hören war. Doch auch in seiner ursprünglichen Form besitzt es für den Zuhörer einen besonderen Reiz: Es zeigt exemplarisch den Baukasten des Gitarrenspiels. Diesen nutzte Muthspiel – erweitert durch spannende Sampling-Effekte – etwa für eine Bearbeitung von Bachs Sarabande aus der g-Moll-Suite für Laute. Vom Original führte er über in einen lockeren, betörend frei gestalteten Improvisationsteil – mit dem erklärten Plan, „dann hoffentlich wieder zum Meister zurückzukehren“. Das gelang ihm eindrucksvoll.
Stimmungswechsel mit Sclavis und Moussay
Der auf feines, filigranes Spiel eingestimmte Zuhörer musste sich im zweiten Teil des Konzerts auf ganz andere Klänge einstellen. Der französische Klarinettenstar Louis Sclavis ließ keine Zeit verstreichen: Während sein Pianist Benjamin Moussay zunächst noch mit feinen Läufen einstimmte, stieg Sclavis mit röhrender Bassklarinette, schroffen Klanglandschaften und eruptiven Soli ein. Was der 72-Jährige an musikalischen Naturgewalten entfachte, ließ sich allenfalls mit dem Gewitter vergleichen, das am Nachmittag zur Unterbrechung von Rhein in Flammen zwang.
Moussay ritt Attacke auf Attacke, sorgte jedoch hin und wieder auch für kurze Momente der Entspannung – Ruhe vor dem nächsten Sturm. Der ließ nicht lange auf sich warten: Sclavis’ expressives Spiel wurde vom Publikum ebenso gefeiert wie die allmähliche Selbstbefreiung Moussays aus dem Schatten seines dominanten Kollegen.
Denn auch der Pianist, eigentlich ein Freund lyrischer Melodien, die er perlend und schwelgerisch dem Furor Sclavis’ opferte, hatte seine Kraftreserven – und das passende Instrument: den Fazioli F308, einen wahren Boliden unter den Konzertflügeln. Gelegentlich ließ er das „Tier“ von der Kette – Sclavis aber blieb unbeeindruckt.
Das Publikum jedoch hatte hörbar Freude daran, das komplette ECM-Album „Unfolding“ live zu erleben. Das letzte Stück „Snow“ beruhigte schließlich die aufgewühlte Stimmung – und krönte einen Abend voller spannungsvoller Kontraste.