Kammermusikalischer Wohlklang: Saxofonist Marius Neset mit dem Norwegian Wind Ensemble beim Eröffnungskonzert in der Bonner Oper
Sie habe ihre Zweifel, teilte China Moses mit breitestem Lächeln zu vorgerückter Stunde ihrem Publikum in der Bonner Oper mit.
Die äußerst gesprächige US-Soulsägerin mit Wohnsitz in Paris bezeichnete die Band, die den Abend eröffnet hatte, das seit mehr als 300 Jahren bestehende Norwegian Wind Ensemble, als „sublime“. Das beschreibt im Jazz den Goldstandard, lässt sich mit erhaben, großartig oder hochwertig übersetzen. Kritische Geister sagen auch weltfremd und verkopft dazu. Wie China Moses „sublime“ meinte, können wir hier nicht vertiefen, jedenfalls befürchtete sie, dass ihre klasse Soul- und Funk-Band im Kontext und zum Anlass der Eröffnung des Jazzfests Bonn als zu wenig „cool“ gelten könnte. Das bezeichnet auf den Jazz gepolt eine eher introvertierte Kunst-Musik.
Nun, Moses – die bereits 2017 beim Bonner Festival in der Uni-Aula glänzte – und ihre Jungs waren eher heiß drauf, was aber im Parkett des Bonner Opernhauses nur sehr zögerlich zum Temperaturanstieg führte. Denn das von den Norwegern mit kammermusikalischem Wohlklang eingestimmte Festivalpublikum fremdelte zunächst mit Moses. Und das, obwohl es eigentlich seit 16 Jahren den Stil des Intendanten Peter Materna kennen sollte, in den Doppelkonzerten auf starke Kontraste zu setzen. Die auch wehtun können. Wie im denkwürdigen Eröffnungskonzert 2023 in der Bonner Oper, als der Rapper Thomas D von den Fantastischen Vier reihenweise Jazzpuristen in die Flucht schlug.
China Moses taut ihr Publikum mit choristischen Übungen auf
Ganz anders bei China Moses. Am Ende ihres Auftritts und nach choristischen Lockerungsübungen mit dem Publikum war das Opernhaus beim Schlussapplaus vollzählig auf den Beinen. Als gewiefte Entertainerin hatte sie zu Beginn keine Sekunde gebraucht, um mit „Breaking Point“ voll durchzustarten. Ihre starke, warme Soulstimme verband sich wunderbar mit dem Funky-Bass von Lawrence Insula, dem Instrument des tollen französischen Bluesgitarristen Jerome Cornelis und dem wirbelnden Spiel des exzellenten Schlagzeugers Lox.
Auch der Einspringer am Piano glänzte: Moses war einer Empfehlung von Nils Landgren gefolgt und hatte den jungen Reutlinger Ilja Ruf in die Band geholt. Der präsentierte sich gleich mit phänomenalen Soli auf Flügel und Keyboard.
Soulig und funkig, auch mal mit einem dreckigen, breiten Blues, sinnlich und aggressiv, nachdenklich und mit naivem Augenaufschlag navigierte Moses durch den Abend, erzählte sehr viel: von der Scheidung und ihrer Mutter Dee Dee Bridgewater, von Nina Simone und Little Miss Flint. Ein kurzweiliges Konzert, das für Moses-Fans ein großes Plus hatte: Quasi weltexklusiv stellte sie vier Songs ihres neuen Albums „I’s complicated“ vor, das Ende Juni erscheint.
Die Fans können sich freuen.
Kammerorchester für neue Musik trifft Jazz-Saxofonisten
Vielleicht kompliziert, eher komplex, aber auch extrem sinnlich hatte der Jazzfest-Eröffnungsabend mit dem ehrwürdigen, 1734 gegründeten Norwegian Wind Ensemble begonnen. Der Klangkörper aus 36 Musikerinnen und Musikern, allesamt bis auf die kleine Rhythmusgruppe Bläser, war einst als Militärkapelle gegründet worden. Die eiserne Disziplin ist geblieben, das Repertoire aber changiert nun zwischen Klassik und neuer Musik – was auch Begegnungen mit dem Jazz beinhaltet. Zurzeit in Gestalt des hervorragenden norwegischen Saxofonisten Marius Neset.
Mit dem Pianisten und Arrangeur Erlend Skomsvoll und Neset erschuf das Ensemble einen schillernden Kosmos, der das Publikum in der Oper restlos fesselte. Wunderbare Solisten, ein warmer, satter, wohliger Sound und spannende Arrangements trafen auf Nesets ungemein facettenreiches Spiel, das vom gehauchten Ton und durchaus schrägen, brüchigen Klängen bis zur röhrenden Attacke, vom filigranen, kaum definierbaren Klanggespinst bis zur eingängigen Melodie und fliegenden Bebop-Nummer alles drauf hat, was das Saxofon hergibt.
Gemeinsam ging man auf die Reise zu entfernten musikalischen Ufern, durch Wälder und über Seen – einfach alles, was die skandinavische Folklore an Emotionen und lautmalerischen Eindrücken vorzuweisen hat, wurde effektvoll aufgerufen. Das Spannende dabei: Nesets Jazz bedient sich gleichermaßen aus diesem Fundus wie das Wind Ensemble mit seiner eher klassischen Musik – und jeder zieht andere Schlüsse daraus. Und jetzt in Bonn interpretierte das Norwegian Wind Ensemble Neset-Kompositionen wie das betörend zarte „Prague’s Ballet“, das wuselige und chaotische „A Day In The Sparrow’s Life“, das geschmeidige, wohlig warme „Sane“, das herrlich vertrackte „Birds“ und „Tribute“, in dem Nesets Saxofon mit Klarinetten, Oboen und Querflöten auf Schmusekurs ging. Das war nicht immer der Fall bei den Begegnungen dieses Abends. Der ging nicht ohne Blessuren ab. Ein Kammerorchester ist keine Bigband, agiert und reagiert anders.
Und doch war das ein Auftakt für Genießer – stimmungsvoller kann man sich nicht die Ohren kalibrieren lassen für das 16. Jazzfest Bonn.