Die ganze Familie(leider ohne Marco) im Roncalli Zelt
Janina, Marlene und Opi vor Roncalli
Fütterung der Kids vor Roncalli
Popcorn for Kids
Rund 1300 Gäste erlebten am Samstag eine funkelnde Vorführung im Circus-Theater Roncalli. „Es ist ein toller Platz und eine tolle Stadt“, sagte Direktor Bernhard Paul zur Begrüßung bei der Premiere, der 1976 auf der Bonner Hofgartenwiese seine erste Vorstellung gegeben hatte. Zelt und historische Wagen sind beim aktuellen Gastspiel in Sichtweite, im Stadtgarten am Alten Zoll aufgebaut. Das Programm „ARTistART“ schlägt eine Brücke zur Kunst und in die Vergangenheit. Nach zweieinhalb Stunden applaudierte das Publikum begeistert und erhob sich nach einem erhebenden Abend von den Bänken. Der kluge Weißclown begleitete die dummen Auguste im Mini-Zirkuswagen aus der Manege. Bis zur nächsten Vorstellung. Zehn Gründe hinzugehen:
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Die Atmosphäre: Roncalli ist Nostalgie auf Rädern. Von der Ausstattung des Zirkuscafés bis zum restaurierten Wohnwagen zeugt alles von der Sammelleidenschaft von Gründer Bernhard Paul. Die Detailverliebtheit sieht man auch im Programm: vor allem an den Kostümen, aber auch an der richtigen Portion Glitzer und Konfetti zum richtigen Zeitpunkt. Zugleich ist Roncalli modern, verzichtet auf Tiere und integriert Überraschendes ins Programm. Das alles macht den Zirkus besonders.
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Die Lacher: Schon beim ersten Auftritt der Clowns hört man dieses gluckernde, unbändige Kinderlachen, das ganz tief aus dem Körper kommt. Erwachsene lachen anders, aber sie lassen sich anstecken. Zum ansteckenden Lachen kommt auch noch eine Portion Schadenfreude, wenn Musikclown Matute das in drei Gruppen aufgeteilte Publikum im Wettkampf gegeneinander ausspielt. Da müssen selbst die auf der „Verliererseite“ mitlachen.
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Duo Turkeev: Zu Beginn seiner Zirkuskarriere hat Bernhard Paul selbstbewusst „Die größte Poesie des Universums“ angekündigt. Das Duo Turkeev ist nah dran. Iuliia und Dmytry lassen dem Publikum den Atem stocken, wenn sie hoch oben an den Strapaten nur noch durch die gegenseitige Anziehung miteinander verbunden zu sein scheinen. Im spanischen Fernsehen wurden sie dafür 2021 zum Supertalent gekürt, aber man muss live dabei sein, um die Magie dieser Artisten zu erleben.
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Prof. Wacko: Der Kontrast zum zweiten Publikumsliebling könnte kaum größer sein, denn Professor Wacko ist ein gesetzter Herr mit Vollbart – Slapstick statt Erotik. Doch er ist kein Clown, sondern Artist und zeigt bei seinen Schrauben auf dem Trampolin absolute Körperbeherrschung. Trotz „fortgeschrittenen Alters“, wie es im Programmheft heißt, und vielleicht Ansporn für alle im Publikum, die sich die Schuhe nur noch im Sitzen zubinden.
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Die Livemusik: Das Zirkusorchester gehörte von Anfang an zu Roncalli. Die Profimusiker begrüßen die Gäste schon am Eingang und spielen danach die komplette Show durch, begleiten trötende Clowns und märchenhafte Filmszenen. Für die Musiker, die die ganze Zeit präsent und doch im Hintergrund sind, gab es nach der Premiere Scheinwerferlicht und einen Extra-Applaus.
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Die Geschichten: Das Programm ist neu und hat doch viele bekannte Motive und Bezüge. Verbiegungskünstler Andrey Romanovski scheint sich selbst in eins der tanzenden Strichmännchen von Keith Haring zu verwandeln, die auch seinen handbemalten Zylinder schmücken. Das Original war ein Geschenk des Künstlers an Bernhard Paul und liegt sicher in einer Vitrine. Alisa Shehter gestaltet ihre Luftring-Performance als Hommage an Frida Kahlo. Der Kunst-Bezug des Programms wird allerdings nicht ganz so konsequent durchgezogen, wie der Titel es vermuten lässt. Die Adem Crew erinnert mit ihrem Robotertanz eher an den Film „Nachts im Museum“ und Illusionistin Alexandra Saabel agiert wie bei „Alice im Wunderland“.
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Das Familiäre: Immer wieder gibt es klassische Roncalli-Motive wie die tanzenden Seifenblasen und den Wiener Walzer zum Abschluss. Nach der Pause erscheinen sogar Clown Zippo (alias Bernhard Paul) und die Pferde seiner Frau Eliana Larible als Projektion auf einem Vorhang rund um die Manege.
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Die drei Clowns: Die Spaßmacher waren immer schon das Herz von Roncalli und auch dieses Mal ist es gelungen, durch sehr unterschiedliche Charaktere komische Situationen herbeizuführen. Dabei brauchen die drei gar nicht viele Worte, meistens genügen Laute und Pantomime. Gensi ist der klassische Weißclown und schon seit 20 Jahren bei Roncalli. Er wird immer wieder von seinen musikalischen, aber tollpatschigen Mitstreitern herausgefordert: Canutito Junior und Matute.
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Die Bonner Tradition: Kurz vor dem 50. Jubiläum betont Paul gern, dass Roncalli in Bonn das Licht der Welt erblickt hat. So gesehen spielt der Zirkus in einer Liga mit Beethoven und Haribo. Die Gäste bei der Premiere: Viele aus der Bonner Kulturszene waren gekommen, außerdem Musiker und Extremsportler Joey Kelly, der mit der Kelly Family auch schon bei Roncalli aufgetreten ist. Ein Herz zum Abschluss zeigte, was Bonn und Roncalli verbindet.
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Der Popcornduft: Das süße Röstaroma empfängt die Besucher schon am Eingang und weht über den ganzen Platz. Sägemehl braucht es beim Roncalli nicht, weil es keine Tiere gibt. Aber das Popcorn, diesen anderen Nostalgieduft, hat man auch nach der Vorstellung noch in der Nase und in den Klamotten.
18. Mai 1976 - Circus Roncalli startet in Bonn
"Ich geh in der Früh zur Schule und da steht plötzlich ein Zirkus", erinnert sich Bernhard Paul, der im österreichischen Städtchen Wilhelmsburg aufgewachsen ist. "Das war mein erster Zirkus, den ich gesehen hab." In seiner Klasse nehmen zufällig Zirkuskinder neben ihm Platz. Sie nehmen ihn nach der Schule mit in ihren Wohnwagen. "Daneben ging ein Elefant vorbei auf der Terrasse, und dann Ponys und schöne Frauen und Männer." Der kleine Bernhard ist begeistert von den goldverzierten Uniformen. "Ich war im siebten Himmel: Das ist es, was ich will!"
Doch sein Vater bremst den Berufswunsch und verlangt: "Zuerst wirst du was Vernünftiges lernen." Deshalb beginnt Paul zunächst eine Hoch- und Tiefbau-Ausbildung, bevor er Grafikdesigner wird. Doch mit 28 Jahren hat er genug: Er kündigt 1975 seine Stelle als Art Director beim österreichischen Nachrichtenmagazin "Profil" und gründet in Wien den Circus Roncalli. Dieser soll altmodisch sein. Das Konzept: Nostalgie statt Sensation, mit einem Schuss Belle Époque und Commedia dell'Arte. "Ich habe ja quasi den Zirkus wiederherstellen wollen, den es nicht mehr gab, den meiner Kindheit."
Mitbegründer André Heller steigt aus
In Graz trifft Paul den Sänger und Literaten André Heller, der ihm seine künstlerische Mitarbeit anbietet. Den Grundstock des Projekts bildet ein ausrangierter Zirkus-Wohnwagen. Die erste Aufführung findet am 18. Mai 1976 in Bonn auf der Hofgartenwiese statt. "Die größte Poesie des Universums" heißt das erste Programm. Danach gastiert der Zirkus in Wiesbaden, Köln und München. Dort verlässt Heller den Circus Roncalli nach einem Streit und verkündet: "Die Poesie ist tot."
1977 spielt der Zirkus zwar bei den Wiener Festwochen. Doch die angehäuften Schulden wegen finanzieller Unregelmäßigkeiten sind zu hoch. Paul muss den Zirkus aufgeben. Im Jahr darauf siedelt er mit ein paar Restbeständen nach Köln um und fängt von vorne an. Am 4. Juni 1980 wird auf dem Kölner Neumarkt "Die Reise zum Regenbogen" uraufgeführt. Das Programm wird zum Erfolg - beteiligt daran ist der Schweizer Kabarettist Emil Steinberger. Er hat Paul Geld geliehen und ist für die Regie mitverantwortlich. Die Pantomimen "Pic und Pello" werden zu Publikumslieblingen.
Der Zirkusdirektor als Clown Zippo
Der Circus Roncalli etabliert sich: 1983 treten Fredy Knie junior und seine Frau Marie-José vom Schweizer Nationalzirkus Knie mit ihren Tierdressuren auf, im Jahr darauf singt Schauspieler Heinz Rühmann das "Lied vom Clown". 1986 gastiert Roncalli als erster westdeutscher Zirkus in Moskau. Paul selbst tritt immer wieder als Clown Zippo auf. "Clowns sind die schwierigsten Menschen auf dem Planeten", sagt der Zirkusdirektor rückblickend. "Aber wer gut ist, darf auch schwierig sein."
Schwierig sind auch die geschäftlichen Bedingungen. Es gibt kaum noch Zirkusschulen und Hersteller von Wagen und Zelten. Der Markt für Zirkusse wird kleiner. Paul muss scharf kalkulieren: "Transport zum Beispiel, was das allein kostet, dieses ganze Ding von A nach B zu transportieren." Das Anstrengende passiere hinter dem roten Vorhang. "Da merkt man, was Zirkus eigentlich für ein schwieriges Unterfangen ist."